Gedichte von Bert Brecht

 

Lied der Galgenvögel

Daß euer schlechtes Brot uns nicht tut drucken
Spüln wir’s hinab mit eurem schlechten Wein -
Daß wir uns ja nicht schon zu früh verschlucken.
Auch werden einst wir schrecklich durstig sein.
 
Wir lassen euch für eure schlechten Weine
Neidlos und edel euer Abendmahl...
Wir haben Sünden. - Sorgen han wir keine.
Ihr aber habt dafür eure Moral.
 
Wir stopfen uns den Wanst mit guten Sachen
Das kost euch Zähren viel und vielen Schweiß.
Wir haben oft das Maul zu voll zum Lachen
Ihr habt es oft zu voll vom Kyrieleis.
 
Und hängen wir einst zwischen Himmel und Boden
Wie Obst und Glocke, Storch und Jesus Krist
Dann bitte faltet die geleerten Pfoten
Zu einem Vater eurer, der nicht ist.
 
Wir haun zusammen wonnig eure Frauen
Und wer bezahlt uns heimlich eure Schmach...
Sie werden mit Wonne zusammen gehauen
Und laufen uns noch in die Kerker nach.
 
Den jungen Weibern mit den hohen Busen
Sind wir viel leichter als der Herr Gemahl
Sie liebt den Kerl, der ihr vom Bett weg Blusen
Die ihr Gemahl bezahlt, beim Abschied stahl.
 
Sie heben ihre Augen bis zum Himmel
Und ihre Röcke bis zum Hinterteil.
Und ist er frech, so macht der dümmste Lümmel
Bloß mit dem Adamsapfel sie schon geil.
 
Dein Rahm der Milch schmeckt schließlich nicht ganz übel
Besonders wenn du selbst ihn für uns kaufst
Wir tauchen dir das Schöpflein in den Kübel
Daß du in der entrahmten Milch versaufst...
 
Konnt in den Himmel uns der Sprung nicht glücken
War eure Welt uns schließlich einerlei.
Kannst du herauf schaun Bruder mit dem krummen rücken?
Wir sind frei Bruder, wir sind frei!



Ein bitteres Liebeslied (Bertolt Brecht)

Mag es jetzt sein wie es will
Einmal hatt ich sie sehr lieb
Darum weiß ich auch: Einmal
Muß sie sehr schön gewesen sein.
 
Wohl weiß ich jetzt nicht mehr, wie sie da aussah:
Ein Tag verlöschte, was sieben Monde lang strahlend war



Lied an die Kavaliere der Station D

O wie brannten euch der Liebe Flammen
Als ihr jung und voller Feuer wart.
Ach der Mensch haut halt das Mensch zusammen
Das ist nun einmal so seine Art.



Lied von der Liebe

Heider Hei saß bei Tine Tippe im Gras
Und helle Sonne schien
Da bat der Hei die Tine um was
Und sie lachte sehr über ihn.
Und sie lachte sehr über ihn.



Vom Schiffschaukeln

4. Psalm

Man muß die Knie vorwerfen wie eine königliche Dirne, als ob man an Knien hinge. Die sehr groß sind. Und purpurne Todesstürze in den nackten Himmel und man fliegt nach oben, bald mit dem Steiß, bald mit dem vorderen Gesicht. Wir sind völlig nackt, der Wind tastet durch die Gewänder. So wurden wir geboren.

Nie hört die Musik auf. Engel blasen in einem kleinen Panreigen, daß er fast platzt. Man fliegt in den Himmel, man fliegt über die Erde, Schwester Luft, Schwester, Bruder Wind! Die Zeit vergeht und nie Musik.

Nachts um 11 Uhr werden die Schaukeln geschlossen, damit der liebe Gott weiterschaukeln kann.



Moderne Legende

Als der Abend übers Schlachtfeld wehte
Waren die Feinde geschlagen.
Klingend die Telegrafendrähte
Haben die Kunde hinausgetragen.
 
Da schwoll am einen Ende der Welt
Ein Heulen, das am Himmelsgewölbe zerschellt’
Ein Schrei, der aus rasenden Mündern quoll
Und wahnsinnstrunkenen zum Himmel schwoll.
Tausend Lippen wurden vom Fluchen blaß
Tausend Hände ballten sich wild im Haß.
 
Und am andern Ende der Welt
Ein Jauchzen am Himmelsgewölbe zerschellt
Ein Jubeln, ein Toben, ein Rasen der Lust
Ein freies Aufatmen und Recken der Brust. 
Tausend Lippen wühlten im alten Gebet
Tausend Hände falteten fromm sich und stet.

In der Nacht noch spät
Sangen die Telegraphendräht’
Von den Toten, die auf dem Schlachtfeld geblieben...
 
Siehe, da ward es still bei Freunden und Feinden.
 
Nur die Mütter weinten
Hüben - und drüben.



Die Regierung als Künstler

1
Für den Bau von Palästen und Stadien
Wird viel Geld ausgegeben. Die Regierung
Gleicht darin einem jungen Künstler, der
Den Hunger nicht scheut, wenn es gilt
Seinen Namen berühmt zu machen. Allerdings
Ist der Hunger, den die Regierung nicht scheut
Der Hunger der andern, nämlich
Des Volkes.
 
2
Gleich dem Künstler
Verfügt die Regierung über allerhand übernatürliche Kräfte
Ohne daß man ihr etwas sagt
Weiß sie alles. Was sie kann
Hat sie nicht gelernt. Sie hat
Nichts gelernt. Ihre Bildung
Ist eher mangelhaft, jedoch zauberhafterweise
Ist sie fähig, bei allem mitzureden, alles zu bestimmen
Auch was sie nicht versteht.
 
3
Ein Künstler kann bekanntlich dumm sein und doch
Ein großer Künstler sein. Auch darin
Gleicht die Regierung dem Künstler. Wie man von Rembrandt sagt
Daß er nicht anders gemalt hätte, ohne Hände geboren, so kann man
Auch von der Regierung sagen, sie würde
Ohne Kopf geboren, nicht anders regieren.
 
4
Erstaunlich beim Künstler
Ist die Erfindungsgabe. Wenn man der Regierung zuhört
Bei ihren Schilderungen der Zustände, sagt man
Wie sie erfindet! Für die Wirtschaft
Hat der Künstler nur Verachtung übrig, ganz so auch
Verachtet die Regierung bekanntlich die Wirtschaft. Natürlich
Hat sie einige reiche Gönner. Und wie jeder Künstler
Lebt sie davon, daß sie
Sich Geld pumpt. 



Der Jude, ein Unglück für das Volk

Wie die Lautsprecher des Regimes verkünden
Sind in unserm Land an allem Unglück die Juden schuld.
Die sich immerfort mehrenden Mißstände
Können, da die Führung sehr weise ist
Wie sie oft betont hat
Nur von den sich immerfort vermindernden Juden kommen.
Nur die Juden sind schuld, daß im Volk Hunger herrscht
Obwohl die großen Grundbesitzer sich auf den Feldern zu Tode arbeiten
Und obwohl die Ruhrkapitäne nur die Brosamen essen, die von der Arbeiter Tisch fallen.
Und nur der Jude kann dahinterstecken, wenn
Für das Brot der Weizen fehlt, weil
Das Militär für seine Übungsplätze und Kasernen
So viel Boden beschlagnahmt hat, daß er
an Umfang einer ganzen Provinz gleichkommt. Da also
Der Jude für das Volk ein Unglück ist
Kann es hiemit für das Volk nicht schwer sein
Einen Juden zu erkennen. Es braucht dazu
Weder Geburtsregister noch äußere Merkmale
- Alles dies kann ja täuschen - es braucht nur zu fragen:
Ist der oder jener Mensch ein Unglück für uns? Dann
Ist er ein Jude. Ein Unglück erkennt man
Nicht an der Nase, sondern daran, daß
Man einen Schaden hat dadurch. Es sind nicht die Nasen
Die das Unglück sind, sondern die Taten. Es braucht einer
Da doch keine besondere Nase, um 
Das Volk berauben zu können, er braucht doch nur
Zum Regime zu gehören! Jeder weiß
Daß das Regime für das Volk ein Unglück ist, wenn also
Alles Unglück vom Juden kommt, muß
Das Regime vom Juden kommen. Das ist doch einleuchtend!



Das Schiff

1
Durch die klaren Wasser schwimmend vieler Meere
Löst ich schaukelnd mich von Ziel und Schwere
Mit den Haien ziehend unter rotem Mond.
Seit mein Holz fault und die Segel schlissen
Seit die Seile modern, die am Strand mich rissen
Ist entfernter mir und bleicher auch mein Horizont.
 
2
Und seit jener hinblich und mich diesen 
Wassern die entfernten Himmel ließen
Fühl ich tief, daß ich vergehen soll.
Seit ich wußte, ohne mich zu wehren
Daß ich untergehen soll in diesen Meeren
Ließ ich mich den Wassern ohne Groll.
 
3
Und die Wasser kamen, und sie schwemmten
Viele Tiere in mich, und in fremden
Wänden freundeten sich Tier und Tier.
Einst fiel Himmel durch die morsche Decke
Und sie kannten sich in jeder Ecke
Und die Haie blieben gut in mir
 
4
Und im vierten Monde schwammen Algen
In mein Holz und grünten in den Balken:
Mein Gesicht ward anders noch einmal.
Grün und wehend in den Eingeweiden
Fuhr ich langsam, ohne viel zu leiden
Schwer mit Mond und Pflanze, Hai und Wal.
 
5
Möw und Algen war ich Ruhestätte
Schuldlos immer, das ich sie nicht rette.
Wenn ich sinke, bin ich schwer und voll.
Jetzt, im achten Monde, rinnen Wasser
Häufiger in mich. Mein Gesicht wird blasser.
Und ich bitte, daß es enden soll.
 
6
Fremde Fischer sagten aus: sie sahen
Etwas nahen, das verschwamm beim Nahen.
Eine Insel? Ein verkommnes Floß?
Etwas fuhr, schimmernd von Möwenkoten
Voll von Alge, Wasser, Mond und Totem
Stumm und dick auf den erbleichten Himmel los.



Wie es war (I)

Erst ließ Freude mich nicht schlafen
Dann hielt Kummer nachts die Wacht.
Als mich beide nicht mehr trafen
Schlief ich. Aber ach, es bracht
Jeder Maienmorgen mir Novembernacht.



Von der Kindermörderin Marie Farrar

1
Marie Farrar, geboren im April
Unmündig, merkmallos, rachistisch, Waise
Bislang angeblich unbescholten, will
Ein Kind ermordet haben in der Weise:
Sie sagt, sie habe schon im zweiten Monat
Bei einer Frau in einem Kellerhaus
Versucht, es abzutreiben mit zwei Spritzen
Angeblich schmerzhaft, doch ging’s nicht heraus.
Doch ihr, ich bitte euch, wollt nicht in Zorn verfallen
Denn alle Kreatur braucht Hilf von allen.
 
2
Sie habe dennoch, sagt sie, gleich bezahlt
Wie ausgemacht war, sich fortan geschnürt
Auch Sprit getrunken, Pfeffer darin vermahlt
Doch habe sie das nur stark abgeführt.
Ihr Leib sei zusehends geschwollen, habe
Auch stark geschmerzt, beim Tellerwaschen oft.
Sie selbst sei, sagt sie, damals noch gewachsen.
Sie habe zu Marie gebetet, viel erhofft.
Auch ihr, ich bitte euch, wollt nicht in Zorn verfallen
Dann alle Kreatur braucht Hilf von allen.
 
3
Doch die Gebete hätten, scheinbar nichts genützt.
Es war auch viel verlangt. Als sie dann dicker war
Hab ihr in Frühmetten geschwindelt. Oft hab sie geschwitzt
Auch Angstschweiß, häufig unter dem Altar.
Doch hab den Zustand sie geheim gehalten
Bis die Geburt sie nachher überfiel.
Es sei gegangen, da wohl niemand glaubte
Daß sie, sehr reizlos, in Versuchung fiel.
Und ihr, ich bitte euch, wollt nicht in Zorn verfallen
Denn alle Kreatur braucht Hilf von allen.
 
4
An diesem Tag, sagt sie, in aller Früh
Ist ihr beim Stiegenwischen so, als krallten
Ihr Nägel in den Bauch. Es schüttelt sie.
Jedoch gelingt es ihr, den Schmerz geheimzuhalten.
Den ganzen Tag, es ist beim Wäschehängen
Zerbricht sie sich den Kopf; dann kommt sie drauf
Daß sie gebären sollte, und es wird ihr
Gleich schwer ums Herz. Erst spät geht sie hinauf.
Doch ihr, ich bitte euch, wollt nicht in Zorn verfallen
Denn alle Kreatur braucht Hilf von allen.
 
5
Man holte sie noch einmal, als sie lag:
Schnee war gefallen und sie mußte kehren.
Das ging bis elf. Es war ein langer Tag.
Erst in der Nacht konnte sie in Ruhe gebären.
Und sie gebar, so sagt sie, einen Sohn.
Der Sohn war ebenso wie andere Söhne.
Doch sie war nicht so wie die anderen, obschon:
Es liegt kein Grund vor, daß ich sie verhöhne.
Auch ihr, ich bitte euch, wollt nicht in Zorn verfallen
Denn alle Kreatur braucht Hilf von allen.
 
6
So will ich also weiter denn erzählen
Wie es mit diesem Sohn geworden ist
(Sie wollte davon, sagt sie, nichts verhehlen)
Damit man sieht, wie ich bin und du bist.
Sie sagt, sie sei, nur kurz im Bett, von Übel-
keit stark befallen worden und, allein
hab sie, nicht wissend, was geschehen sollte
Mit Mühe sich bezwungen, nicht zu schrein.
Und ihr, ich bitte euch, wollt nicht in Zorn verfallen
Denn alle Kreatur braucht Hilf von allen.
 
7
Mit letzter Kraft hab sie, so sagt sie, dann
Da ihre Kammer auch eiskalt gewesen
Sich zum Abort geschleppt und dort auch (wann
Weiß sie nicht mehr) geborn ohn Federlesen
So gegen Morgen. Sie sei, sagt sie
Jetzt ganz verwirrt gewesen, habe dann
Halb schon erstarrt, das Kind kaum halten können
Weil es in den Gesindabort hereinschnein kann.
Auch ihr, ich bitte euch, wollt nicht in Zorn verfallen
Denn alle Kreatur braucht Hilf von allen.
 
8
Dann zwischen Kammer und Abort, vorher sagt sie
Sei noch gar nichts gewesen, fing das Kind
zu schreien an, das hab sie so verdrossen, sagt sie
Daß sie’s mit beiden Fäusten ohne aufhörn, blind
So lang geschlagen habe, bis es still war, sagt sie.
Hierauf hab sie das Tote noch gradaus
Zu sich ins Bett genommen für den Rest der Nacht
Und es versteckt am Morgen in dem Wäschehaus.
Doch ihr, ich bitte euch, wollt nicht in Zorn verfallen
Denn alle Kreatur braucht Hilf vor allem.
 
9
Marie Farrar, geboren im April
Gestorben im Gefängnishaus zu Meißen
Ledige Kindesmutter, abgeurteilt, will
Euch die Gebrechen aller Kreatur erweisen.
Ihr, die ihr gut gebärt in saubern Wochenbetten
Und nennt "gesegnet" euren schwangeren Schoß
Wollt nicht verdammen die verworfnen Schwachen
Denn ihre Sünd war schwer, doch ihr Leid groß.
Darum, ich bitte euch, wollt nicht in Zorn verfallen
Denn alle Kreatur braucht Hilf von allen.



Gesang des Soldaten der Roten Armee

1
Weil unser Land zerfressen ist
Mit einer matten Sonne drin
Spie es uns aus in dunkle Straßen
Und frierende Chausseen hin.
 
2
Schneewasser wusch im Frühjahr die Armee
Sie ist des roten Sommers Kind!
Schon im Oktober fiel auf sie der Schnee
Ihr Herz zerfror im Januarwind.
 
3
In diesen Jahren fiel das Wort Freiheit
Aus Mündern, drinnen Eis zerbrach.
Und viele sah man mit Tigergebissen
Ziehend der roten, unmenschlichen Fahne nach.
 
4
Oft abends, wenn im Hafer rot
Der Mond schwamm, vor dem Schlaf am Gaul
Redeten sie von kommenden Zeiten
bis sie einschliefen, denn der Marsch macht faul.
 
5
Im Regen und im dunklen Winde
War Schlaf uns schön auf hartem Stein.
Der Regen wusch die schmutzigen Augen
Von Schmutz und vielen Sünden rein.
 
6
Oft wurde nachts der Himmel rot
Sie hielten’s für das Rot der Früh.
Dann war es Brand, doch auch das Frührot kam
Die Freiheit, Kinder, die kam nie.
 
7
Und drum: wo immer sie auch warn
Das ist die Hölle, sagten sie. 
Die Zeit verging. Die letzte Hölle
War doch die allerletzte Hölle nie.
 
8
Sehr viele Höllen kamen noch.
Die Freiheit, Kinder, die kam nie.
Die Zeit vergeht. Doch kämen jetzt die Himmel
Die Himmel wären ohne sie.
 
9
Wenn unser Leib zerfressen ist
Mit einem matten Herzen drin
Speit die Armee einst unser Haut und Knochen
In kalte flache Löcher hin.
 
10
Und mit dem Leib, von Regen hart
Und mit dem Herz, versehrt von Eis
Und mit den blutbefleckten leeren Händen
So kommen wir grinsend in euer Paradeis.



O Blindheit der Großen

O Blindheit der Großen! Sie wandeln wie Ewige
Groß auf gebeugten Nacken, sicher
Der gemieteten Fäuste, vertrauend
Der Gewalt, die so lang schon gedauert hat.
Aber lang ist nicht ewig.
O Wechsel der Zeiten! Du Hoffnung des Volks!



Wenn das Haus der Großen zusammenbricht

Wenn das Haus der Großen zusammenbricht
Werden viele Kleine erschlagen.
Die das Glück der Mächtigen nicht teilen
Teilen oft ihr Unglück. Der stürzende Wagen
Reißt die schwitzenden Zugtiere 
Mit in den Abgrund.



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